Wie sich die Rollenvorstellungen vom Mann als Ernährer und der Frau als Fürsorgerin und Haushälterin geschichtlich entwickelt haben, wurde im Kapitel Arbeitsleben angerissen. Dabei gelten diese Vorstellungen nicht überall auf der Welt1. Gleichzeitig entfalten sie aber trotzdem für uns eine starke Wirkung, besonders was die Erziehung von Kindern und das Verhältnis zu den eigenen Kindern angeht.
Bevor wir uns Elternschaft zuwenden, ist es wichtig zu betonen, dass dies nicht alle betrifft: Schließlich wollen oder können nicht alle Menschen Nachwuchs haben. Fragen nach Kindern können schmerzen und intim sein. Es lohnt sich abzuwarten, bis das Gegenüber das Thema selber anspricht und es nicht als Smalltalk Thema zu verstehen. Elternschaft umfasst auch Fragen nach Verbindlichkeit, Partner:innenschaft, Gleichberechtigung, Fürsorgearbeit und Finanzen, was die Diskussion darüber komplex macht. Diese Vielseitigkeit ist eine gute Gelegenheit, kurz über Deine eigenen Erfahrungen als Kind in Bezug auf Geschlecht und Elternschaft nachzudenken:
- Wie geht es Dir, wenn Du an Deine eigene Kindheit zurückdenkst?
- Gibt es bestimmte Erfahrungen, die Du ausschließlich mit Deiner Mutter/Deinem Vater verbindest?
- Wer hat bei euch das Essen gekocht und wer das kaputte Fahrrad repariert?
- Bist Du eher zu Deinem Vater oder zu Deiner Mutter gegangen, wenn Du Dich verletzt hast oder traurig warst?
- Wie hast Du Dich mit deinen Eltern gestritten, gab es da Unterschiede?
Ob bewusst oder unbewusst, die Art wie Du selbst aufgewachsen bist, beeinflusst Dein Denken und Handeln als möglicher Elternteil. Vielleicht fühlst Du Dich mit manchen Erwartungen, die Du erlebst oder erlebt hast, gar nicht wohl und hast es Dir vielleicht schon als Kind anders gewünscht. Die folgenden Impulse können Dir helfen, mit Deiner Partnerin ins Gespräch zu kommen, zu reflektieren und bewusst das Kinder bekommen und erziehen zu gestalten.
Elternschaft gleichberechtigt planen
In vielen heterosexuellen Beziehungen sind Männer einige Jahre älter als ihre Partnerinnen2. Die Entscheidung für ein Kind fällt tendenziell dann, wenn der Mann schon ausreichend im Beruf gefestigt ist, während die Frau noch am Anfang ihrer Karriere steht. Das kann zu unbeabsichtigten Abhängigkeiten führen.
Frauen erleben so häufiger einen Karriereknick, wenn sie ein Kind bekommen. Das hängt auch mit Vorurteilen gegenüber Müttern zusammen, dass sie nun mit Kind weniger leistungsfähig sind. Wegen diesen Problemen ist es gut, die Aufteilung von Eltern- und Erziehungszeiten früh zu thematisieren. So kann ein späterer Zeitpunkt der Geburt ungewollte berufliche Benachteiligung verringern. Ebenfalls gut zu wissen ist, dass Du als Mann ebenso Anspruch auf Elternzeit hast wie Deine Partnerin.
Die Geburt gut vorbereiten
Die Zeit vor der Geburt ist voller Termine und Vorbereitungen, bei denen Du Deine Partnerin unterstützen kannst. So kannst Du sie bei der Hausarbeit entlasten oder mit ihr an den Geburtsvorbereitungskursen teilnehmen. In dieser Phase empfiehlt sich, dass ihr euch bereits über die einzelnen Schritte und möglichen Entscheidungen während der Geburt Gedanken macht. So kann es passieren, dass Deine Partnerin sich während des Geburtsvorganges nicht äußern kann, wenn zum Beispiel eine Narkose gesetzt oder ein Kaiserschnitt durchgeführt werden soll. Je intensiver ihr euch vorab austauscht, desto handlungsfähiger bist Du während der Geburt des Kindes. Welche Rolle Du bei der Geburt spielen willst, wie aktiv Du Dich einbringen möchtest, kannst Du ebenfalls schon vor der eigentlichen Geburt herausfinden. Stimme Dich hier mit deiner Partnerin ab, wie Du ihr bestmöglich zur Seite zu stehen kannst.
Nähe entsteht durch Fürsorge
Von Frauen wird meist erwartet, dass sie Kinder haben wollen und sich später auch mehr als ihre Partner darum kümmern. Dabei ist die Qualität der Fürsorge und das Interesse an Kindern unabhängig vom Geschlecht.3 Auch wenn ein Kind nicht in Dir heranwächst und Du es nicht stillst, muss die Beziehung zu Dir nicht weniger eng sein als zur Mutter. Viele Mütter gehen auch (unbewusst) davon aus, dass ihre Partner nicht so gut mit den Kindern umgehen können, wie sie selbst. Das stimmt nicht. Vielmehr ist es eine Frage der Übung und der Vertrautheit, wer sich besser auf das Kind und auf wen sich das Kind besser einlassen kann.3,4 Gerade deshalb ist es wichtig, über die Rollenverteilung bei der Kinderbetreuung nachzudenken. Solange die Mutter stillt, ist sie oft die Einzige, die nachts aufsteht, um nach dem Kind zu schauen. Das kann dazu führen, dass Väter lernen, das Geschrei zu ignorieren und nicht darauf zu reagieren. Wenn Väter also öfters nachts durchschlafen, obwohl der Nachwuchs schreit, hat das eher mit erlerntem Verhalten als mit unzureichender Wahrnehmung zu tun.5 Lass Dir also nicht absprechen, keine so enge Bindung zu Deinen Kindern zu haben, sondern nimm Deine Rolle als Elternteil aktiv wahr und baue eine Verbindung auf. Dies beinhaltet sich auch und besonders in anstrengenden Situationen zu kümmern. So stärkst Du die Beziehung zu Deinem Kind und entlastest Deine Partnerin.
Geschlechterstereotype überwinden
Wir alle haben Menschen in unserem Umfeld, die sagen “So sind Jungen (oder Mädchen) halt.” Das zeigt, wie sehr wir mit Geschlechtsstereotypen aufwachsen und diese verinnerlicht haben. Wir sehen unser Gegenüber nicht unabhängig vom Geschlecht, sondern interpretieren dessen Verhaltensweisen vor diesem Hintergrund. Häufig werden bereits bei Kindern Geschlechterstereotype mit vermeintlich anerkannten biologistischen Bezügen verbunden. Zum Beispiel, dass Jungen wegen dem Testosteron aggressiv handeln. Dabei lassen sich bei Jungen und Mädchen im Alter von 3 Monaten bis zum Eintritt in die Pubertät keine Unterschiede im Testosteronlevel nachweisen.6
Häufig wird schon nach der Geburt geschlechterspezifisches Verhalten von Kindern erwartet. Diese Erwartungen fördern es allerdings erst: Während männliche und weibliche Babys noch gleich viel getröstet werden (und auch gleich viel weinen), werden männliche Kleinkinder, sobald sie anhand ihres Aussehens von der Umwelt als Jungen identifiziert werden, von Menschen außerhalb der Familie wie Betreuungspersonen in Schule und Kindergarten weniger getröstet.7 Mit Jungen wird weniger oft über Gefühle gesprochen.8 Um ein mit anderen Menschen verbundenes Leben zu führen, braucht es aber den Zugang zu den eigenen Gefühlen und klare Kommunikation darüber.9 Es ist deshalb wichtig, dass Du für Dein Kind unabhängig vom Geschlecht da bist und es unterstützt, seine Gefühle auszudrücken. Ermutige Dein Kind gerne und finde mit ihm heraus, was dabei hilft, über die eigenen Emotionen zu sprechen.
Das Geschlecht sollte keine Rolle spielen, wie „vorsichtig“ oder „wild“ ein Kind beim Sich-Ausprobieren sein darf. Alle Kinder profitieren davon Verantwortungsbewusstsein, Fürsorge und Ausdauer zu lernen. Hast Du bereits beobachtet, dass in Deinem Umfeld Kindern je nach Geschlecht unterschiedliche Freiheiten gegeben werden? Möchtest Du das für Deine Kinder? Was brauchst Du, um ihnen die gleichen Freiheiten zuzugestehen? Hier kann der Kontakt Deines Kindes zu Kindern anderer Geschlechter bedeutend sein: Er wirkt sich sowohl positiv auf das Problemlösungs-und Kommunikationsverhalten Deines Kindes aus, als auch auf die Auflösung von geschlechtsstereotypen Denken.10
Weg mit der blau-rosa Produktpalette
Häufig wird Kindern eingeredet, sie bräuchten je nach Geschlecht andere Spielzeuge oder Spielinhalte. Das wohl bekannteste Beispiel dafür sind Produktfarben: Rosa für Mädchen und Blau für Jungen. Dass Rosa Mädchen von Natur aus gefällt, stimmt allerdings nicht. In einer groß angelegten Studie zeigte sich, dass Kinder bis zum zweiten Lebensjahr unabhängig vom Geschlecht die Farbe blau der Farbe pink vorziehen.11 Außerdem galt bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts rosa als männliche Farbe. Erst mit der Einführung von Tarnkleidung vor rund 150 Jahren beim Militär wurde rosa zur weiblichen Farbe deklariert.12 Seit 50 Jahren werden viele Sachen einmal für Jungs in Blau und für Mädchen in Rosa verkauft, um mehr Absatz zu machen.13 Mit diesem Wissen, kannst Du Dich von der pink-blauen Einheitswelt verabschieden. So kannst Du Dir Gedanken machen, ob Du wirklich den blauen Gegenstand „nur für Jungs“ brauchst oder ob es nicht auch eine neutrale Farbvariante gibt, die die gleiche Funktion erfüllt.
Du bist Vorbild
Als Vater bist Du in einer neuen Rolle, was Du sicher auch daran merken wirst, wie andere fortan mit dir umgehen. Häufig ist auch dieser Umgang mit Dir (unbewusst) mit sexistischen Stereotypen aufgeladen. Um die zu reflektieren, können folgende Fragen helfen:
- Wie werde ich als Vater wahrgenommen? Wie wird die Mutter wahrgenommen? Welche Unterschiede werden zwischen uns gemacht?
- In welchen Situationen werde ich nicht als Vater wahrgenommen?
- Gibt es Momente, in denen ich mich selbst nicht als Vater wahrnehme? Habe ich Interesse daran, das zu verändern? Wie kann mich meine Partnerin bei dieser Veränderung unterstützen, was fällt mir selber dazu ein?
Da sich Dein Kind an Deinem Verhalten orientiert, ist es wichtig, das eigene Verhalten zu reflektieren, um zu prüfen, welche Aspekte Du an Dein Kind vermitteln willst.
In welchen Situationen greifst Du selbst auf Geschlechterstereotype zurück? Wann lebst Du sexisitische Rollenbilder vor? Was kann Dir helfen, anders zu handeln?
Wieso wird dasselbe Verhalten bei Jungen etwa als starker Wille bezeichnet, während Mädchen schnell als störrisch oder zickig gelten? Hast Du schon darüber nachgedacht, an welchen Stellen und warum Du Wörter mit klarer geschlechtlicher Zuordnungen verwendest?
Für Kinder wird irgendwann der Punkt kommen, ab dem sie selbstständig leben, sich selbst Essen kochen, abwaschen oder für Ordnung sorgen müssen. Häufig werden Jungen von der Hausarbeit ferngehalten. Dies nimmt ihnen aber die Möglichkeit, adäquat auf den Übergang zur Selbständigkeit im späteren Leben vorbereitet zu sein. Um dem vorzubeugen, kannst Du Deine Kinder unabhängig vom Geschlecht in der Haushaltsführung einbeziehen, wie man einen eigenen Haushalt führt, wie man Wäsche wäscht, Rezepte kocht oder den Einkauf plant. Am Anfang ist das bestimmt viel Stress, aber irgendwann wirst Du auch davon profitieren.